Attraktive Männer in Berlin Folge 111: Der Politikberater
Man muss sich den Berliner Politikberater als glücklichen Menschen vorstellen. Denn für ihn gibt es keine Trennung zwischen Job und Freizeit, zwischen Freunden und Kollegen. Statt mit seinen Kumpels Fußball zu spielen, sitzt er Sonntags vormittags beim Brunch mit seinen so genannten Kampagneros in einem der geschmacklosen Cafés in Friedrichshain beim Strategie-Meeting und diskutiert die Meilensteine und Zeitfenster der nächsten Kampagne.
Sprüche seines besten Freundes aus Kindertagen wie „Alter, komm ma klar, das Leben besteht doch nicht nur aus Arbeit“ versteht er nicht, denn intrinsisch motiviert wie er ist spürt er keinen Unterschied zwischen Arbeit und Leben, weil es für ihn schlicht keinen gibt. Er leidet nicht mal unter der fehlenden freien Zeit, denn was macht man Sinnvolles damit, wenn die Wäsche gewaschen und der Einkauf erledigt ist? Der Begriff „Muße“ klingt für ihn wie ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert, ähnlich anachronistisch wie „Festnetztelefon“ oder „Sendeschluss“.
Frauen lernt der Politikberater allenthalben kennen, da er ständig mit Journalistinnen, Stiftungsmitarbeiterinnen, Parteireferentinnen, NGO-Geschäftsführerinnen, Pressesprecherinnen und Agenturinhaberinnen zu tun hat. Bei der gemeinsamen Projektarbeit ergibt sich hin und wieder eine berufsbegleitende Liebelei mit einer von ihnen, die nie lange hält, weil einfach keine Zeit für Zweisamkeit bleibt.
Keine Frage, der Politikberater hat Spaß an seinem Job. Ein Problem hat er nur dann, wenn er krank wird. Keiner seiner Kampagneros bringt Cola und Salzstangen vorbei und auch die Projektmitarbeiterin hat keine Zeit, weil sie so busy ist. Der Politikberater starrt an die Decke seiner überteuerten, nie fertig eingerichteten Dachgeschoß-Wohnung im Prenzlauer Berg, wundert sich und hofft, dass er ganz schnell gesund wird und das echte Leben wieder anfängt.
rikscha am 09. Juni 15
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