Berlin Homecoming
Berlin ist eine Stadt der Zugezogenen, nur selten trifft man hier Eingeborene. Die allermeisten Berliner haben irgendwann in den 80ern und 90ern ihre provinzielle Heimat hinter sich gelassen und schlagen sich nun mit dem wundervollen, grausamen Hauptstadtleben herum.

Zurückgeblieben oder zurückgekehrt sind alte Schulfreunde und die Familie. Bei den jährlichen Besuchen in Solingen, Apolda oder Diepholz kriegen die Berliner dann vorgeführt, wie auch ihr Leben hätte aussehen können – mit eigenem Häuschen im Grünen, mit glücklichen Kindern, die von der Haustür zur Schule laufen können, mit regelmäßiger Kinderbetreuung durch die Großeltern, mit Fußballgucken mit den Kumpels und mit sonntäglichen Fahrradausflügen - statt verkatert im Bett zu hängen und über das eigene Baustellen-Leben zu grübeln.

Und wenn der Berliner dann durch die Straßen der Heimat streift, die so schön grün und sauber sind, wo einjeder jeden kennt und grüßt, kommt er ins Nachdenken, ob das nicht auch was für ihn wäre, diese Harmonie und die Ruhe und der Frieden. Bis einer der Kumpels beim Fußball-Gucken sagt: „Der Mulatte trifft den Ball nicht, is ja klar“. Und die alte Schulfreundin abfällige Bemerkungen über den „nuttenhaften“ Kleidungsstil einer Bekannten macht. Und der Nachbar sich über die Scheidung bei den Müllers empört, weil die Frau sich angeblich selbstverwirklichen will. „Selbstverwirklichen“ spricht er mit der höchst gebotenen Verachtung aus. Dann fühlt der Berliner ein Unbehagen, das sich erst auf dem Heimweg beim Halt des Zuges in Spandau wieder auflöst.

Wenn der Berliner dann wieder in Berlin ist, er in seinem Lieblingscafé bei dem hübschen schwulen Kellner mit dem tätowierten Drachen am Hals einen erstklassigen Espresso bestellt und er beim Einkaufen zusammen mit einer Neuköllner Rentnerin, einem 20jährigen Hipster und dem türkische Gemüsehändler Witze über den neuen Flughafen macht, ist er erleichtert und denkt: „Is schon gut so wie’s is“.