Wellness im Berliner Straßenverkehr
Wenn man neu ist in Berlin und sich die ersten Wochen im Straßenverkehr bewegt, wundert man sich am Anfang über die harschen Reaktionen, mit der sich die Verkehrsteilnehmer begegnen. Man ist betroffen, wenn man aus Versehen mit dem Fahrrad einem Fußgänger in die Quere kommt, und ungehemmt als „Blödes Arschloch“ oder „Dumme Schlampe“ beschimpft wird. Man fühlt sich persönlich angegriffen oder sogar verletzt und fährt einige Tage etwas vorsichtiger.

Bald gewöhnt man sich jedoch an die harten Worte und weiß sie sogar zu schätzen, denn man fängt an, zurückzuschimpfen, auf Kühlerhauben zu schlagen und auf dem Fahrrad nach Rechtsüberholern zu treten. Wo kann man noch so herrlich ungestüm Leute beleidigen, völlig unpersönlich und ohne Folgen, denn die Begegnung dauert ja meist nur ein paar Sekunden und schon ist man wieder weg. Man fühlt sich durch diese unkontrolliert aggressionsgetriebene Affekthandlung befreit und kann sich das Meditations-Seminar und die Wellness-Massage sparen. Gesteigert werden kann der Befreiungseffekt durch ausgefeilte Formulierungen, die sich sowohl für lahmende Fußgänger auf Radwegen, rücksichtslose Taxifahrer oder dummdreiste Fahrradkuriere eignen, beispielsweise „Verrotte in der Hölle“ oder „Ich verfluche den Tag deiner Geburt“. Die allerschlimmste Beschimpfung aber, die man nur im Notfall verwenden sollte, also wenn man in echte Lebensgefahr gebracht wurde, bleibt diese: „Tourist!“